Üserer Brauerei
von Wolfgang Kramer
Von der “Sonne" zur Großbrauerei Im Jahr der Französischen Revolution 1789 wurde Johann Nepomuk Bilger, der Gründer der Bierbrauerei zur „Sonne", in Bietingen geboren. Er heiratete 1818 eine Gottmadingerin, Maria Josepha Singer, die Tochter des Freiherrlich von Traitteurschen Hausmeisters Johann Baptist Singer. Der Bedienstete der Schlossherrschaft muss kein Armer gewesen sein, denn er hatte aus der Erbmasse des Karl Rudolph die „Sonne" erworben. Da er schon kurz nach der Verheiratung seiner Tochter starb, kam Johann Nepomuk Bilger in den Besitz des Gasthauses „Sonne".
Das Handwerk eines Bierbrauers hatte der Gründer der später landesweit bekannten Brauerei Bilger nicht gelernt, was der Müllersohn Johann Nepomuk wirklich gelernt hatte, lässt sich nicht klären. 1820 wurde er als „Bürger und Bauer" in Gottmadingen bezeichnet. Vier Jahre später erhielt er vom Bezirksamt Radolfzell einen „Dispens von den Wanderjahren". Bilger wollte in der „Sonne" eine Brauerei einrichten und musste nun nachweisen, dass er eine Brauerausbildung absolviert hatte. Doch Bilger war in seiner Malaise nicht allein. auch dem Sohn von Sternenwirt Gaßner mangelte es an einer Brauerausbildung. Beide sollten, so wurde ihnen vom Bezirksamt Radolfzell aufgetragen, ein Meisterstück fertigen, und dann konnten sie ans Werk gehen.
Zur „Sonne" gehörten 1832 neben einer Wirtschaft, einer Brauerei und einem bedeutenden „Bauerngewerbe" eine Metzgerei, zum „Sternen", die als „sehr gangbare" Wirtschaft bezeichnet wurde, ebenfalls eine Brauerei und eine Bäckerei. Damals gab es in Gottmadingen vier Wirtschaften, von denen der „Sternen" wohl die bedeutendste gewesen sein dürfte. Gottmadingen zählte 606 Einwohner, die in 99 Häusern wohnten.
Johann Nepomuk Bilger war ein Bauer, der sein Augenmerk wohl auf die Landwirtschaft gerichtet haben dürfte. Er war nicht die weitblickende Unternehmerpersönlichkeit, die Strategien entwickelte, um dem bei ihm gebrauten „Sonnen"-Bier zu einem größeren Bekanntheitsgrad zu verhelfen.
Dem eher einfachen Gründer folgte nach seinem Tod 1849 der fast schon weltläufige Sohn Johann Baptist (1820-1899), der in Paris und Augsburg gelernt hatte und die Zeichen der Zeit erkannte. Er baute die Brauerei mit Neubauten für Sudhaus, Tenne und Keller aus und nutzte die neue Eisenbahn für den Versandhandel. „Sonnen"-Bier gab es nun schon in Konstanz, Schaffhausen und Winterthur. Johann Baptist Bilger legte den Grundstein für eine moderne Brauerei. Sein Bier war berühmt und die neu eröffnete Bahn veranlasste manchen Schweizer zu einem Abstecher nach Gottmadingen. Stolz vermerkt die offizielle Bilgersche Brauerei- und Familiengeschichte, dass „sich Kunden mitunter jahrelang vormerken lassen mussten, bevor sie überhaupt angenommen werden konnten". Johann Baptist Bilger war eine selbstbewusste Persönlichkeit mit festen Grundsätzen. Den politischen Katholizismus, der im Gegensatz zum preußisch-deutschen Kaiserreich stand, lehnte er ab. Er trat deshalb zur altkatholischen Konfession über. An seinem Ende war er ganz Patriarch. Die Bilger- Geschichte berichtet: „Wenige Stunden vor seinem Tode, am 29. Dezember 1899, rief er die Seinen zusammen, ließ den Kassenschrank öffnen und teilte ruhig und bedächtig seine Habe. Den geistlichen Beistand lehnte er ab.
Zur modernen Großbrauerei wurde das Unternehmen in der nächsten Generation unter Albert Bilger (1845-1909), der das Unternehmen expandieren ließ. Er trug sich sogar mit dem Gedanken, die Brauerei an einen verkehrsgünstigeren Ort, zum Beispiel Basel oder Singen, zu verlegen. Die technischen Erneuerungen wie die künstliche Kühlung nutzte Albert Bilger konsequent und ließ 1878 die erste Dampfmaschine installieren. Früh stieg er in das Flaschenbiergeschäft ein und eröffnete Ende der 1880er Jahre die erste „Bierablage" für sein Bier in Konstanz. Bilger dominierte noch nicht den Ort als Brauerei. Es gab da noch die „Sternen"-Brauerei, die von Gaßner an die Grafs gekommen war und die in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts kräftig mehrere hundertausend Mark in ihre Anlagen investierte. Die Grätschen Bauten am westlichen Rand des Dorfes mit den modernen Brauerei- und Mälzereigebäuden von 1895 bzw. 1898 behaupteten sie sich anfangs stärker im Ortsbild als die Bilger'schen, die erst nach der Jahrhundertwende stärker in Erscheinung traten. Mit dem Hotelbau vis-a-vis des Bahnhofs und dem großen Festsaal (1899) hatte Graf die wohl bedeutendste gastronomische Einrichtung geschaffen, dem zehn Jahre später der stattliche Neubau als "Unterer Sternen" folgte. 1898 wurde die Brauerei Graf eine Aktienbrauerei. Ist die Gemeindeumlage ein Maßstab, so war jedoch Graf mit 1271 Mark wesentlich kleiner als Bilger, der 2068 Mark im Jahre 1896 bezahlten musste. Beide Brauereien beschäftigten um die Jahrhundertwende (1902) jeweils 40 bis 50 Arbeiter. Bei Albert Bilger ist es höchste Zeit, auch die Rolle der Frauen in der Familie und im Hause Bilger zu würdigen. Alberts Frau, Marie Luise Pfizer, die auf dem Hohentwiel als Tochter des Domänenpächters geboren wurde und aus dem alten Tuttlinger Geschlecht Renz entstammte, war der eigentliche Motor in dieser BilgerGeneration. Marie Luise Bilger organisierte den großen Haushalt, verstand sich im Verkehr mit der Kundschaft und spornte ihren Albert an. Sie nahm an geschäftlichen Besprechungen selbstverständlich teil, gebar zwischendurch elf Kinder und war im Frauenverein aktiv. Höhe und Glanzpunkt ihres Lebens war sicherlich der Besuch der Großherherzzogin Luise von Baden am 23. September 1899 und das Mittagessen, das die Landesmutter bei den Bilgers einnahm. Die badische Monarchin an der Tafel des "Sonnen"Bierbrauers Bilger in Gottmadingen die Konkurrenten von der Sternenbrauerei waren endgültig geschlagen. Es war die Zeit, in der Bilger überregionale Bedeutung erlangte, und die Familie Bilger der dörflich bäuerlichen Gemeinde Gottmadingen entwuchs und sich doch im Dorf als Mäzen engagierte, 1908 stiftete Bilger 5 000 Mark für die Kleinkinderschulstiftung. Die Brauereifamilie Bilger baute wie die Familie Graf Arbeiterwohnungen man war schließlich Patron und wusste, was man tun musste, um Arbeiter nach Gottmadingen zu holen und da zu halten. Mit der Übernahme der Brauerei durch die drei Brüder August, Edwin und Rudolf 1908 bekam das Unternehmen seinen endgültigen Namen:"A. Bilger Söhne". Die drei Brüder führten 1912-1914 umfangreiche Erweiterungsbauten durch.
Die Brauerei erhielt ihr endgültiges Aussehen, das durch das hochaufragende Sudhaus bestimmt wurde. Modernste Einrichtungen ermöglichten eine rationelle Bierherstellung von gleichbleibender Qualität. Bilger stellte sein Bier nun weitgehend industriell her. Die Würzpfanne des Sudhauses umfasste gigantische 325 hl. Raffiniert nutzte die Großbrauerei schon damals die Energie aus, um die Kosten für die Produktion zu minimieren.
Die Bilgergebäude bestimmten immer mehr das Ortsbild von Gottmadingen. Der Sonnensaal mit der großbürgerlichen Wohnung, in der August Bilger und seine vermögende italienische Frau Wanda Albertini logierten, die Villa Rosenegg von Rudolf Bilger und die von einer hohen Mauer umgebene Villa von Edwin Bilger machten schon nach außenhin kund, dass hier eine ganz andere Generation der Brauerfamilie residierte, die nur noch wenig mit dem dörflichen Gottmadingen gemein hatte. Die Vertreter dieser Generation, Alberts Kinder, heirateten sämtlich nach außen: Abkömmlinge von Fabrikanten, Kaufleuten oder hohen Beamten. Die Familie Bilger war in eine andere Sphäre vorgestoßen.
Im Ersten Weltkrieg übernahm Bilger als rentabler und leistungsfähiger Betrieb das Kontingent von 22 Brauereien, von denen drei in das Unternehmen eingegliedert wurden: die Brauerei Sterck in Meßkirch, die Löwenbrauerei in Waldshut und die Sternenbrauerei in Gottmadingen. Mit der Sternenbrauerei der Familie Graf hatte Bilger einen weiteren Produktionsstandort in Gottmadingen, der die angestammte Brauerei im Ortskern sogar noch ein paar Jahre überleben sollte.
Die alte Rivalität zwischen Graf und Bilger war zugunsten der Bilgers ausgegangen. Exbrauereidirektor Edwin Graf wurde dafür von Bilger bei der Bürgermeisterwahl 1922 unterstützt.
Die Brauerei, die bis 1914 selbst Hopfen in Gottmadingen anbaute, erlebte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg einen deutlichen Einbruch beim Bierausstoß infolge Rohstoffmangels.
Mit der Herstellung von Most versuchte man einen gewissen Ausgleich. Nach der Inflation konnte Bilger nur langsam wieder in die Nähe der Ausstoßmengen von 1914 kommen. Der Bestand der seit 1928 in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen Brauerei war schon vor dem Zweiten Weltkrieg beachtlich: 1939 besaß Bilger 32 eigene Wirtschaften, 18 Angestellten- und Arbeiterhäuser, 37 Lastwagen, 6 Personenwagen, 5 Eisenbahnwaggons, 2 Mälzereien, 2 Dampfmaschinen mit 270 PS, 1 Drehstrommotor mit 270 PS, zahlreiche Eis- und Kühlmaschinen, Bierablagen in Konstanz, Überlingen, Ravensburg, Ebingen, Waldshut, Säckingen, Schopfheim, Lörrach, Freiburg, Meßkirch und Stetten a.k.M. 130 Angestellte und Arbeiter fanden in der Brauerei Arbeit.
Die nächste Generation mit Dr. Albert und Dr. Harald Bilger führte das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich weiter. Bilger errichtete Abfüllbetriebe in Echterdingen bei Stuttgart, Mannheim und Hilden bei Düsseldorf, wohin das Bier in den weit im Land bekannten roten Tankwagen gefahren wurde. Als eine der ersten Brauereien füllte Bilger Bier in Dosen ab und selbst an Bord von Flugzeugen der Deutschen Lufthansa gab es Bilger-Bier. Die Bilger-Reklame war modern und erfolgreich und hatte einen hohen Bekanntheitsgrad. Das innovative Unternehmen erkämpfte sich einen Platz unter den vier größten Bierbrauereien Südbadens.
Der Schock war groß, als die Beteiligung von Fürstenberg an Bilger im Juni 1968 bekannt wurde. Die Zahl der Mitarbeiter wurde schon kurz danach von 271 auf 232 reduziert, die Bierproduktion Zug um Zug nach Donaueschingen verlagert, der umfangreiche Grundbesitz der Brauerei in Form von Gaststätten schnell verkauft. 1976 wurde das letzte Bilger-Bier gebraut, Brauchbares nach Donaueschingen verfrachtet, die Leuchtreklame ausgeknipst, die Marke getilgt.